Der Thronfolger - Ein Franz-Ferdinand-Roman by Ludwig Winder

Der Thronfolger - Ein Franz-Ferdinand-Roman by Ludwig Winder

Autor:Ludwig Winder [Winder, Ludwig]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 978-3-552-05688-6
Herausgeber: Paul Zsolnay Verlag
veröffentlicht: 2014-05-04T22:00:00+00:00


Die Hetze

Der Fürst Alfred Montenuovo, Obersthofmeister und Geheimer Rat des Kaisers von Österreich, Ehrenritter des souveränen Malteserordens, Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies, war der treueste Diener Franz Josephs. Das Haus Montenuovo verdankte dem Kaiser alles, auch den Namen. Dem Vater des Obersthofmeisters, dem als uneheliches Kind geborenen Grafen Wilhelm von Neipperg, hatte der Kaiser erlaubt, den unwillkommen berühmt gewordenen Namen Neipperg (Neuberg) in Montenuovo zu übersetzen; den Grafen mit dem übersetzten Namen hatte Franz Joseph überdies in den Fürstenstand erhoben. Der Sohn des ersten Fürsten Montenuovo wurde der Vertraute des Kaisers. Der Obersthofmeister war um vierundzwanzig Jahre jünger als Franz Joseph; dem Sechsundvierzigjährigen gelang es jedoch, die Welt mit den Augen des Siebzigjährigen zu sehen. Er sah dem Kaiser an den Augen ab, wie die Welt beschaffen sein musste, wenn der vergötterte Herr an ihr Gefallen finden sollte. Montenuovo konnte wohl nicht die Welt ändern und die Katastrophen abwenden, die von Zeit zu Zeit in das ruhige, nach der Uhr geregelte Leben des Kaisers einbrachen; aber er konnte die Menschen, die der Machtsphäre des Hofes unterstanden, beeinflussen, er konnte sie über die Formen unterrichten, in denen dem Kaiser die unvermeidlichen Unannehmlichkeiten leicht oder unsichtbar gemacht werden mussten. Das tat er unaufhörlich, immer bereit, dem Seelenfrieden des Kaisers jeden Menschen, jede Sache, jede Überzeugung zu opfern. Denn nichts war ihm wichtig und heilig als der Seelenfriede des Kaisers.

Die meisten Menschen, die Montenuovos Tun und Denken kennenlernten, nannten ihn beschränkt. Aber diese Beschränktheit war eine selbstgewollte, deren er sich nicht schämte und die er, in klarer Erkenntnis ihrer Zweckdienlichkeit, mit der Schamlosigkeit eines großen Herrn zur Schau stellte, der über das Urteil der Welt erhaben ist. Die Schau war in zwei Hälften getrennt: Auf der einen standen der Kaiser und er, auf der andern wimmelte die übrige Menschheit, und seine Aufgabe war es, die Menschen an dem Überschreiten des Trennungsstrichs zu hindern. In dem Gewimmel jenseits des Trennungsstrichs befand sich nicht nur das Volk, das verhältnismäßig leicht in Zaum gehalten werden konnte, sondern auch mancher unbequeme Patron, der aus seiner Geburt das Recht ableitete, den Kaiser zu stören, zu beunruhigen. Mit allen war Montenuovo immer fertiggeworden. Er traute sich die Kraft zu, auch mit dem Thronfolger fertigzuwerden, der von den hochgeborenen Herren, die den Kaiser behelligten, der ungebärdigste war.

Der Einfall, Franz Ferdinand zunächst ein Jahr lang auf Antwort warten zu lassen, war Montenuovos Hirn entsprungen. Nach diesem vorläufigen Erfolg, der dem Kaiser für die Dauer eines vollen Jahres Ruhe gewährleistete, ließ sich Montenuovo vom Kaiser ermächtigen, alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet schienen, den Willen des Thronfolgers und seiner ehrgeizigen Freundin zu brechen. Den Brief, der dem Thronfolger gebot, sich dem Kaiser nicht mehr direkt, sondern nur noch auf dem Umweg über den Fürsten Montenuovo zu nähern, ließ der erzürnte Franz Ferdinand unbeantwortet. Nach einigen Tagen des Wartens schrieb Montenuovo dem Erzherzog einen entgegenkommenden, in ehrfurchtsvollem Ton gehaltenen Brief, der die Zurückhaltung des Kaisers und das Dazwischentreten des Briefschreibers erklären und entschuldigen sollte. Es war in diesem Brief vor allem von



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